Die Wirksamkeit des Aikido beruht auf einem starken Willen als lenkender Kraft (Ki) und dem Vermögen, Gedanken und Handlungen in Harmonie (Ai) zu vereinen. Erscheint die Interpretation der Begriffe Do (Weg) und Ai (Harmonie) noch verhältnismäßig einfach, so trifft diese Feststellung für den Ausdruck Ki nicht mehr zu.

Es handelt sich hierbei um eine sehr wesentliche und in allen Unterrichten betonte Voraussetzung, die durch ständiges Üben der entsprechend kodierten technischen Inhalte des Aikido erworben wird, auf einem geschulten Willen basiert, im Unterbewusstsein wirkt und in der effektiven Verteidigungstechnik einen auch für den Laien erkennbaren Ausdruck findet.

Der moderne Mensch ist – oft im Augenblick – vielfältigen Anforderungen ausgesetzt, denen er gerecht werden muss. Er ist selten in der Lage, ein Ziel konsequent zu verfolgen oder eine Aufgabe gut zu lösen. Viele Menschen leiden unter dieser Zerrissenheit und gleiten unbewusst in die Mittelmäßigkeit ab. Willensstarke Menschen haben im Leben hingegen Erfolg. Sie sind in der Lage, ein Ziel kraftvoll und beharrlich zu verfolgen, vermeiden jeden nutzlosen Kräfteverschleiß, behalten die Übersicht und wählen die günstigsten Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen.

Körper und Geist dürfen nicht differenziert betrachtet werden, denn sie beeinflussen sich gegen- und wechselseitig. Der geschulte Geist kann eine Kontrollfunktion über den Körper ausüben. Diese Überlegungen gelten in vollem Umfange auch für das Aikido, denn auch hier soll zwischen dem Denken und Handeln eine Harmonie (Einheit) bestehen. Neben dieser Einheit von Geist und Körper, dürfen natürlich die vielfältigen technischen, physikalischen und taktischen Faktoren des Aikido nicht vergessen werden.

Es gibt mit Sicherheit kein ausschließlich geistiges oder körperliches Aikido, denn Koordinationsvermögen, Raum- und Bewegungsgefühl sowie ein durchtrainierter Körper sind ebenso unverzichtbare Voraussetzungen. Sie werden durch artspezifische Übungen erworben und dienen bei sinnvoller Umsetzung immer auch der Schulung des Willens. Aikido lässt sich daher nicht „nebenbei“ betreiben, sondern fordert über lange Zeit den konzentrierten Einsatz aller geistigen und körperlichen Kräfte des Ausübenden, möglichst während des ganzen Lebens.

Nur unter dieser Bedingung findet eine förderliche und immer differenziertere Rückkopplung statt. Der Aikidoka geht im Tun auf, vergisst die Sorgen des Alltags und findet wieder zur Ursprünglichkeit. Die Persönlichkeit ruht in sich selbst und die geistige Energie (Ki) ist ständig im Gleichgewicht. Auf diesem Niveau betrieben, ist Aikido eine Form der dynamischen Meditation.

Physikalisch gesehen ist Aikido ein Spiel mit Kräften, die von außen auf den eigenen Körper wirken oder von diesem ausgehen. Nur wer sich ständig im Gleichgewicht befindet und die Aikidoprinzipien sowie seinen Körper gleichermaßen gut beherrscht, kann den ausschließlich seinem eigenen Willen unterliegenden Angreifer führen und (um-)lenken.

Unter Hinweis auf die Wechselbeziehung zwischen Geist und Körper muss betont werden, dass die Komponente Ki eng mit dem Begriff der Körpermitte (Hara) verbunden ist. Erinnern wir uns immer daran, dass „Atemkraft“ aus dem Körperzentrum fließen soll. Dies ist unter anderem nur möglich, wenn Geist und Körper eine harmonische Einheit bilden, was innere Ruhe und äußere Gelassenheit voraussetzt. Gutes Gleichgewicht bedingt auch, dass der Körperschwerpunkt bei sicherem Stand möglichst tief liegt.

Der Verteidiger kann eine aggressive geistige oder körperliche Kraft nur aufnehmen und (um-)lenken, wenn er seine Mitte gefunden hat und aus einer sicheren (am Boden haftenden) Stellung heraus reagiert. Die erfolgbestimmende Anpassung an die spontanen Bewegungen des Angreifers erfordert daneben die verzugsfreie Koordination aller eigenen Abwehraktionen.

Wer kennt nicht die fesselnde Wirkung eines starken Angreifers oder einer gefährlichen Waffe. Eine wirksame Abwehr ist sicher nicht mehr möglich, wenn uns der „Schrecken in die Glieder fährt“. Wie kann man jedoch verhindern, dass Furcht zur Reaktionsunfähigkeit führt? Die Verinnerlichung der Aikido-Prinzipien durch ständiges und ernsthaftes Üben, die Vorstellung von realen Situationen im Training zur Kontrolle der Empfindungen, die Schulung des Willens durch sinnvolle Übungen zum Zwecke einer positiven Verschiebung der Leistungsgrenze und die Anstrengungsbereitschaft bei regelmäßigem Training zur Schaffung der körperlichen Voraussetzungen, sind sicher wesentliche Faktoren.

Jeder Aikidoka, der im Sinne dieser Überlegungen und Hinweise an sich arbeitet, wird eines Tages erkennen, dass er sich eine echte Lebenshilfe erschlossen hat. Dann verlieren die häufig in den Vordergrund geschobenen technischen Aspekte an Bedeutung. Der Ausübende lebt im Einklang mit den Elementen sowie Prinzipien des Aikido und wendet sie künftig auf alle Bereiche seines Lebens an.

Er ist unerschütterliche Mitte und wird durch störende äußere Kräfte nicht mehr irritiert, bewahrt sich also seine innere Freiheit und Natürlichkeit. Sein ganzes Leben bekommt somit eine neue Qualität und Dimension.

© Rolf Brand, 8. Dan Aikido
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