Kata, Grundtechnik und Randori sind die drei tragenden Säulen des Aikido. Während die Grundtechnik Übungen zum Erlernen der Elemente und Prinzipien des Aikido beinhaltet und das Randori eine Methode zur intuitiven Anwendung der Aikido-Technik darstellt, ist die Kata eine Form der Rückbesinnung. Die häufige und exakte Wiederholung festgelegter Übungsformen ermöglicht einen hohen Grad der Automatisierung und Verinnerlichung der Aikido-Elemente und -Prinzipien. Erst durch das dann mögliche, „unbewusste“ Zusammenspiel zwischen Nage und Uke entstehen verzugsfreie, harmonische und im Sinne der Zielsetzung – Abwehr unbewaffneter und bewaffneter Angreifer – auch effektive Bewegungsabläufe.
Auf europäischer Ebene wurde die erste (Stand) und zweite Form (Boden) der „Aiki-no-Kata“ vom japanischen Aikido-Meister Tadashi Abe (1920 – 1984) entwickelt. Er war in der „2. Generation“ ein Innenschüler (Uchi-dechi) von O Sensei Morihei Ueshiba. Als einer der ersten Aikido-Lehrer lebte und unterrichtete Tadashi Abe von 1952 bis 1960 in Frankreich. Sein Schüler André Nocquet, der in den 50er Jahren als Schüler des legendären Judo-Meisters Mikinosuke Kawaishi (1899 – 1969) auch ein ranghoher französischer Judo-Dan war, wurde von ihm ermuntert, nach Japan zu fahren, um Aikido bei O Sensei Morihei Ueshiba zu studieren. Die damaligen Bedenken des Aikido-Begründers, Ausländer zu unterrichten, konnten durch ein von Tadashi Abe verfasstes Empfehlungsschreiben ausgeräumt werden. André Nocquet wurde im Juli 1955 als Uchi-dechi der „3. Generation“ angenommen und verließ Japan im Dezember 1957 als 4. Dan Aikido.

Über die Gründe für die Entwicklung dieser „Aiki-no-Kata“ können nur Vermutungen angestellt werden. Es ist möglich, dass Meister Tadashi Abe durch die von Judo-Meister Mikinosuke Kawaishi entwickelte und sehr erfolgreiche Methode des in fünf Stufen (Gokyu) formalisierten Judo-Unterrichtes angeregt wurde. Bei beiden Meistern stand sicher das Ziel im Vordergrund, die Entwicklung ihrer ungeduldigen europäischen Schüler dadurch zu fördern, dass sie deren Aufmerksamkeit und Eifer von der „Breite“ (Vielzahl von Techniken) in die „Tiefe“ (hoher Grad der Verinnerlichung ausgewählter Elemente und Prinzipien) lenkten.

Im Januar 1963 realisierte Judo-Meister Gerd Wischnewski seinen Wunsch, zum Studium der Budo-Disziplinen nach Japan zu reisen. Er war unter anderem ein Schüler des Aikido-Begründers und kehrte 1965 als 2. Dan Aikido, 2. Dan Judo, 2. Dan Kendo und 1. Dan Karate nach Wiesbaden zurück. Vom Deutschen Judo-Bund e.V. wurde der „Samurai mit den blauen Augen“ im April 1966 als Bundestrainer für die jungen Sektionen Aikido und Kendo verpflichtet. Im Mai 1971 stellte Gerd Wischnewski (3. Dan Aikido) seine Ämter aus gesundheitlichen Gründen zur Verfügung und zog sich ganz vom Budo zurück.

Da die meisten Aikido-Dane der „frühen Jahre“ auch in Deutschland vor oder neben dem Aikido andere Budo-Disziplinen studierten und unterrichteten, waren sie vom Wert der „Kata“ als einer tragenden Säule des Aikido überzeugt. Folgerichtig verankerten sie in den Prüfungsordnungen für Dan-Grade ihrer Verbände frühzeitig auch „Aiki-no-Kata“. Die gute qualitative und quantitative Entwicklung der von diesen „Aikido-Pionieren“ vertretenen und technisch geprägten Lehrsysteme (Ryu) bestätigt unter anderem die Richtigkeit dieser Auffassung.

Bei der im April 1966 erfolgten Gründung der Aikido-Kommission im Deutschen Judo-Bund e.V. (DJB) wurde die von Meister Gerd Wischnewski vorgelegte Prüfungsordnung (6. bis 1. Kyu-Aikido) des Aiki Kai (Hombu-Dojo in Tokyo) in Kraft gesetzt. Im Juni 1967 wurde diese Prüfungsordnung dann unter systematischen und methodisch-didaktischen Aspekten überarbeitet sowie auf den 1. und 2. Dan Aikido erweitert. „Aiki-no-Kata“ war darin jedoch noch nicht enthalten.

Nach Auswertung der im Rahmen der Lehrtätigkeit gesammelten Erfahrungen wurde die Prüfungsordnung für Aikido-Dan-Grade des Deutschen Dan-Kollegiums e.V. (DDK) im Jahre 1969 aktualisiert. Das Programm für den 1. und 2. Dan wurde dabei erstmals um das Fach „Kata“ erweitert. Eine weitergehende Bezeichnung, die Rückschlüsse auf den Inhalt oder die Zielsetzung der Formen erlaubt, gab es jedoch nicht. Offensichtlich handelte es sich zunächst um eine „Zielvorgabe“.

Im Jahr 1970 wurde die vorgenannte Prüfungsordnung auf den 3. und 4. Dan Aikido erweitert. Beim 1. bis 3. Dan Aikido wird ohne nähere Erklärung wieder das Fach „Kata“ genannt. Für den 4. Dan findet sich unter „Kata“ folgende Anforderung: a) „Aikido-Kata nach eigener Gestaltung“ oder b) „Kendo-Kata“. Nach späterer Auffassung war die unter a) erhobene Forderung ein Widerspruch in sich, da die Entwicklung und der Vortrag „freier Formen“ dem Ziel: „Normierung und Erhaltung wesentlicher Elemente, Techniken und Prinzipien des Aikido“, nicht gerecht werden konnte. Die auf Vorschlag von Bundestrainer Gerd Wischnewski unter b) genannte Forderung nach Einführung einer Kendo-Kata macht deutlich, dass er beide Budo-Disziplinen als gleichwertige bzw. sich ergänzende Systeme ansah. Da die Erfüllung der Forderung ein längeres und intensives Studium des Kendo bedingt hätte, wurde sie nach der Durchführung einiger Kendo-Lehrgänge für Aikidoka vor ihrem Vollzug wieder aufgegeben. Ein weiterer Grund für diese Entscheidung war sicher auch die Erkenntnis, dass das (wett-)kampforientierte Kendo im Widerspruch zu wesentlichen Prinzipien des Aikido stand.

Bei der im Mai 1971 unter großen Schwierigkeiten erzwungenen Überführung des Aikido-Lehr- und -Prüfungswesens vom DDK in die Zuständigkeit der Sektion Aikido des DJB wurden den relevanten Prüfungsfächern folgende „Kata“ zugeordnet: 1. Dan: „Aiki-no-Kata – Form der Aikido-Prinzipien“; 2. Dan: „Jo-Kata – Form der Koordination“; 3. Dan: „Kata – Form der Abwehr bewaffneter Angreifer“; 4. Dan: „Omote-Kata – Form der Kombinationen“ und „Kendo-Kata – Form des Schwertweges“.

Anlässlich des im August 1972 im Herzogenhorn (Schwarzwald) durchgeführten Internationalen Aikido-Lehrganges stellte Meister André Nocquet (damals 6. Dan Aikido) erstmals die auf den fünf Stufen der Katame-Waza sowie dem Shiho-Nage und dem Kote-Gaeshi basierende „Form der Aikido-Prinzipien im Stand“ vor.

Unter Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse änderten die Delegierten der Technischen Kommission Aikido im DJB (TKA-DJB) im März 1973 das Fach „Aiki-no-Kata“ in den Prüfungsordnungen für Aikido-Dan-Grade wie folgt: 1. Dan: „1. Form der Aikido-Prinzipien im Stand (Ju-no-Geiko)“; 2. Dan: „2. Form der Aikido-Prinzipien am Boden (Ju-no-Geiko)“; 3. Dan: „Form der Abwehr bewaffneter Angreifer“. Die zu dieser Zeit noch nicht benötigte Prüfungsordnung für den 4. Dan Aikido wurde aufgehoben, weil die zu ihrer Ausgestaltung notwendige fachliche Kompetenz in den Organen des DJB noch nicht vorhanden war.

Die „Form der Abwehr bewaffneter Angreifer“ wurde von Rolf Brand entwickelt und als Zulassungsarbeit für seine am 24. Juni 1973 erfolgte Prüfung auf den 3. Dan Aikido angenommen. Im März 1974 beschloss die TKA-DJB, dass Meister André Nocquet, 7. Dan Aikido, die Anwärter auf den 3. Dan Aikido solange allein prüft, bis im DJB eine aus drei Aikido-Danen bestehende Prüfungskommission, die mindestens den von den Anwärtern angestrebten Grad besitzen, gebildet werden kann. Meister André Nocquet schlug in diesem Zusammenhang vor, bis zur Verbreitung der „Form der Abwehr bewaffneter Angreifer“ die „1. und 2. Form der Aikido-Prinzipien im Stand und am Boden“ zu prüfen.
Bei der im April 1977 erfolgten Gründung des Deutschen Aikido-Bundes e.V. (DAB) wurde das Regelwerk der Sektion Aikido im DJB übernommen. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es in der Prüfungsordnung für Dan-Grade keine inhaltlichen Änderungen der vorhandenen „Aiki-no-Kata“.

Die vom Generalsekretär der Union Européenne d’Aikido (UEA), Rolf Brand, nach einer umfassenden Analyse der nationalen Ordnungen aller Mitgliedsverbände entwickelten Verfahrens- und Prüfungsordnungen für Aikido-Dangrade (VOD- und POD-UEA) wurden im April 1976 von den Delegierten des Kongresses und im November 1977 auch von der Technischen Kommission der UEA – sie bestand aus den jeweils drei ranghöchsten Aikido-Danen der Mitgliedsverbände – angenommen. Auf Vorschlag von Meister André Nocquet wurde auch die von Rolf Brand entwickelte „Form der Abwehr bewaffneter Angreifer“ darin aufgenommen.

Dem Fach „Kata“ waren in der POD-UEA folgende „Aiki-no-Kata“ zugeordnet: 1. Dan: „1. Form der Aikido-Prinzipien im Stand (Ju-no-Geiko)“; 2. Dan: „2. Form der Aikido-Prinzipien am Boden (Ju-no-Geiko)“; 3. Dan: „Form der Abwehr bewaffneter Angreifer (Ju-no-Geiko)“; 4. Dan: „Freie Kata, jedoch nicht aus dem Programm für Aikido-Dan-Grade der UEA“; 5. Dan: „Form der Abwehr bewaffneter Angreifer mit einer Waffe“.

Die im Sinne des Wahlspruches „Per Amicitiam ad Firmitatem“ (Durch Freundschaft zur Stärke) zur Förderung gemeinsamer Ziele geschaffenen und mehrheitlich verabschiedeten Ordnungen (VOD- und POD-UEA) wurden jedoch nicht in allen nationalen Mitgliedsverbänden umgesetzt. Im Bereich des DAB waren die VOD- und POD-UEA bis Ende 1988 verbindlich. Im Juni 1989 beschlossen die Delegierten der 7. BV des DAB daher die Rückführung der Verfahrens- und Prüfungsordnungen für Dan-Grade in die eigene Zuständigkeit. Da die „Form der Abwehr bewaffneter Angreifer“ auch Techniken enthält, die in den Ausbildungs- und Prüfungsprogrammen des DAB bis zum 3. Dan Aikido nicht vorkamen, wurde sie auf den 4. Dan Aikido verschoben. Gleichzeitig wurde für eine Übergangszeit beschlossen, bei Anwärtern auf den 3. und 5. Dan Aikido die vorhandenen „Aiki-no-Kata“ der bereits abgelegten Grade zu prüfen.

Die mit Wirkung vom 1. Januar 1990 in Kraft gesetzte POD-DAB wurde in den Fächern „Aiki-no-Kata“ wie folgt geändert: 1. Dan: „Form der Aikido-Bodentechniken (Katame-Waza) im Stand“; 2. Dan: „Form der Aikido-Bodentechniken (Katame-Waza) im Kniesitz“; 3. Dan: „Form der Aikido-Standtechniken (Nage-Waza)“; 4. Dan: „Form der Abwehr bewaffneter Angreifer“, 5. Dan: „Form der Aikido-Elemente und -Prinzipien“.
Bei Gründung der Aikido-Union Deutschland e.V. (AUD) im April 2002 wurden die in der POD-DAB vorgegebenen „praktischen Fertigkeiten“ unverändert in die „Prüfungsordnung für Aikido-Dan-Grade der AUD (POD-AUD)“ übernommen, weil ihre technische Entwicklung und formale Festlegung seit 1966 weitestgehend durch Aikido-Dane erfolgte, die sich vom DAB gelöst und die Gründung der AUD unterstützt hatten.

Von den Delegierten der 2. HV der AUD wurden die Bezeichnungen der Aiki-no-Kata im April 2003 wie folgt konkretisiert: 1. Dan: „Form der Katame-Waza und ihrer Prinzipien im Stand“; 2. Dan: „Form der Katame-Waza und ihrer Prinzipien im Kniesitz“; 3. Dan: „Form der Nage-Waza sowie der Synthese ihrer Prinzipien im Stand“; 4. Dan: „Form der Nage- und Katame-Waza zur Abwehr bewaffneter Angreifer (Form der Evolution des Aikidoka)“; 5. Dan: „Form fundamentaler Aikido-Elemente und -Prinzipien“.

Die bis dahin noch fehlende „Form der Nage-Waza sowie der Synthese ihrer Prinzipien im Stand“ wurde im Jahr 2004 von Rolf Brand entwickelt. Als Zeichen seines Dankes an alle Aikidoka, die ihn in „Zeiten schwieriger Entscheidungen“ treu auf seinem Weg begleitet haben, schenkte er diese Form der AUD. Nach Verabschiedung durch die Technische Kommission wurde sie den Delegierten der im Oktober 2005 durchgeführten 4. Hauptversammlung (HV) der AUD zur Inkraftsetzung vorgelegt und verabschiedet. Entsprechend dem Beschluss ist diese Form dem 3. Dan Aikido zugeordnet.

Bis dahin wurden sowohl im DJB als nachfolgend auch im DAB und in der AUD bei Prüfungen auf den 3. Dan Aikido im Fach „Aiki-no-Kata“ die „1. und 2. Form der Aikido-Prinzipien im Stand und am Boden“ abgerufen. Diese Maßnahme hat die Verbreitung und Vertiefung der in diesen Formen enthaltenen und im Training oft vernachlässigten Grundtechniken (Nage- und Katame-Waza) nachdrücklich gefördert.

Die Technische Kommission der AUD hatte es sich zum Ziel gesetzt, die in ihrem Prüfungsprogramm für den 5. Dan Aikido noch fehlende „Form fundamentaler Aikido-Elemente und -Prinzipien“ zu konzipieren. Dazu hatte Dr. Björn Rahlf als Hausarbeit für seine Prüfung auf den 5. Dan Aikido einen fundierten Vorschlag unterbreitet. Das Präsidium und die Technische Kommission der AUD haben auf diese Initiative ihres ranghöchsten Meisters und Bundestrainers jedoch nicht in der gebotenen Weise reagiert. Dies hat neben anderen Ereignissen, die im Widerspruch zu wesentlichen Prinzipien des Aikido standen, wohl dazu beigetragen, dass sich Dr. Björn Rahlf mit Ablauf des Jahres 2011 von der AUD getrennt hat.

Gemeinsam mit seinen Weggefährten sowie mit Unterstützung der ranghohen Meister Erhard Altenbrand (8. Dan Aikido) und Rolf Brand (8. Dan Aikido) gründete er am 29. April 2012 den Aikido-Verband Deutschland e.V: (AVD). Der AVD übernahm die Prüfungsordnung für Dan-Grade der AUD mit den zu dieser Zeit aktuellen Inhalten. Bezüglich des Prüfungsfaches „Aiki-no-Kata“ gab es folglich keine Änderungen.

Beim kritischen Studium der Ausführungen könnte man zu dem Schluss kommen, dass die im Fach „Aiki-no-Kata“ wiederholt vorgenommenen Änderungen den Zielsetzungen und der Bedeutung dieser „tragenden Säule“ entgegenstehen. Dazu stelle ich fest, dass sich in der Regel zwar die Namen, nicht aber die wesentlichen Ziele und Inhalte der Formen geändert haben. Bezogen auf die bei Namensänderung noch nicht realisierten „Aiki-no-Kata“ haben derartige Überlegungen ohnehin nur eine theoretische Bedeutung.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die im Jahre 1969 bei Dan-Prüfungen erstmals vorgesehenen „Aiki-no-Kata“ für den 1., 2. und 3. (später 4.) Dan Aikido nach „Umwegen“ bereits im Jahr 1973 konkretisiert wurden. Bis zur Einführung der dem 3. Dan Aikido zugeordneten „Form der Nage-Waza sowie der Synthese ihrer Prinzipien im Stand“ vergingen jedoch 32 Jahre. Das liegt in erster Linie wohl daran, dass die Entwicklung einer Form ein kreativer Vorgang ist, der eine entsprechende geistig-seelische und technische Reife erfordert. Außerdem gilt auch hier: „Gut Ding will Weile haben!“. Die in diesem Aufsatz aufgezeigte „Historie der Aiki-no-Kata“ ist aber auch ein Beweis dafür, dass die verantwortlichen Aikidoka und Verbandsorgane die als richtig erkannten Ziele trotz einiger Widerstände und Probleme in den vergangenen 43 Jahren beharrlich verfolgt haben.

Das mit der „Form fundamentaler Aikido-Elemente und -Prinzipien“ verfolgte Ziel, wesentliche geistige und philosophische Prinzipien des Aikido in körperlich-technischen Ausdrucksformen zu präsentieren, ist ohne Zweifel eine schwierige Aufgabe und eine besondere Herausforderung.

Es bleibt abzuwarten, wie und von welchem Verband die Geschichte der Aiki-no-Kata fortgeschrieben oder beendet wird.

© Rolf Brand, 8. Dan Aikido
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